Ja, es gab in den 1930er-Jahren tatsächlich einen Unterrichtsfilm in zwei Folgen zum Papierfalten, auf den ich aufmerksam wurde durch die Beihefte, die ich vor einiger Zeit antiquarisch erworben habe. Inzwischen durfte ich dank FWU die Filme anschauen und bin begeistert von den Filmen.
Über die Unterrichtsfilme
In den Filmen wird gezeigt, wie verschiedene Faltmodelle gefaltet und anschließend kreativ genutzt werden. Letzteres ist es, was mich auch begeistert hat, weil die Szenen – auch wenn sie gestellt sind – doch einen Eindruck von den Kindern 90 Jahren vermitteln.
Der erste Teil beginnt übrigens mit einer Szene, die heute Empörung hervorrufen würde und zeigt, dass man Werke aus ihrer Zeit sehen muss. Es ist ein kleines Dorf aus Wigwams aufgebaut und mittendrin aus Papier geschnittene Menschen mit Kopfschmuck aus gefalteten Pferden. Für mich war der Start insofern besonders interessant, weil der dort dargestellt Wigwam bzw. das Zelt nicht zu den Modellen gehört, die ich heute in gängigen neuen und alten Faltbüchern finde. Vermutlich wollten die Produzenten direkt an den Interessen der Kinder anknüpfen und „Indianer“ waren damals wohl ein Thema, was ja auch der Buchtitel „Wer will unter die Indianer“ von Herti Kirchner vermuten lässt. Doch zunächst wird in dem Film erklärt, wie man aus einem rechteckigen Blatt Papier einen Hut und daraus ein Schiffchen bzw. Kahn oder einen Pfeil faltet und wie aus einem Quadrat durch Falten und Schnitten an den richtigen Stellen ein Kästchen entsteht. Drei Jungen spielen mit den Schiffchen und mit den Pfeilen, die Kästchen werden von Mädchen genutzt.
Im zweiten Teil des Filmes werden die Kinder von knuffigen Faltschweinchen vor einem Bauernhaus begrüßt. Es wird dann erklärt, wie man eine kleine Ente faltet, die danach auf einem Teich aus zur Ziehharmonika gefalteten Papier schwimmt. Die Faltweise für die Ente wird danach für Pferd und einen Reiter genutzt, die zusammen mit Kollegen mit Fahne und Lanze in den Kampf ziehen. Auch diese beiden Modelle tauchen in neueren Büchern eher selten auf, vor allem das Falten eines Pferdes und eines Reiters aus der Grundfaltung für die Ente war mir neu.
Die Filme, die bei der Reichsstelle für den Unterrichtsfilm unter den Nr. F57/1936 und F58/1936 geführt wurden, wurden hergestellt vom Kulturfilm-Institut GmbH in Berlin mit einer Länge von 121 m als Schmalfilm und 303 m als Normalfilm.
Die Begleithefte zu den Unterrichtsfilmen
Na gut, ganz neu war diese Faltung nicht, ich kannte ja schon die Begleithefte, allerdings fand ich es ohne die Bilder schwierig, danach die Figuren zu falten.
Na gut, ganz neu war diese Faltung nicht, ich kannte ja schon die Begleithefte, allerdings fand ich es ohne die Bilder schwierig, danach die Figuren zu falten. In den Heften, die von dem Zeichenlehrer Georg Netzband (1900-1984), verfasst wurden, der auch die Entstehung des Filmes begleitet hat, finden sich die Faltanleitungen zu den Modellen aus den Filmen. Der Autor war nicht nur Kunstpädagoge, sondern auch Künstler, der nach dem Kriegsdienst im Ersten Weltkrieg und dem Studium an der Berliner Kunstschule ab 1918 in den 20er-Jahren an einigen Ausstellungen beteiligt war und an der Reform des Kunstunterrichts mitgewirkt hat. In der NS-Zeit finanzierte er sich durch kleine Schreibaufträge wie den für dieses Heft, wurde aber im Erscheinungsjahr wegen politischer Unzuverlässigkeit von den großen Ausstellungen ausgeschlossen. Nach dem Krieg arbeitete er als Kunstlehrer und Autor. Die Begleithefte sind im selben Jahr wie der Film, 1936, im W. Kohlhammer Verlag Stuttgart/Berlin erschienen.
Begleitheft 1
In der Einleitung wird erklärt, was Faltarbeiten sind und was bei der Arbeit zu berücksichtigen ist. Die Einleitung trifft, wie ich finde, das Prinzip sehr schön: „Faltarbeiten aus Papier sind reine Phantasieerzeugnisse. Sie geben in abstrakter Weise Erinnerungen an die Natur und stellen Formgebilde dar, die zweckmäßig verwendet werden können. Beide Arten von Faltarbeiten haben einen Ursprung: den Spieltrieb. Absichtslos spielt man mit einem Stückchen Papier. Eine Falte, ein Kniff üben auf das Auge einen Reiz, lösen eine Empfindung aus.“ Spannend finde ich, dass noch erklärt wird, warum es sinnvoll ist, das Papierfalten in der Schule aufzugreifen, denn „Welchen Wert das Papierfalten für den Handel hat, welchen breiten Raum es im öffentlichen Leben einnimmt, weiß ein Jeder. Viele Berufe verwenden es.“ Im Folgenden werden dann diese Berufe erwähnt, die Verkäufer und Verkäuferinnen – ja, tatsächlich, hier werden beide Geschlechter aufgeführt 🙂 -, im Buchbindergewerbe, die Blumenbinderin. „Außerhalb Europas, abgesehen von den zweckmäßigen Faltformen der Amerikaner, haben vor allem die Chinesen und Japaner die Faltarbeit zu einer außerordentlichen Höhe und Verfeinerung entwickelt.“ Das läge an den besseren Papieren im asiatischen Bereich. Außerdem werde in Deutschland das Falten rein als Spiel gesehen. Das Kind „faltet aus Freude, nicht aus Zweckgründen. Zweckmäßiges Falten wurde erst von Erwachsenen in das kindliche Spiel hineingetragen, um die Phantasie dem Zweckgedanken der Erziehung unterzuordnen. Das Faltspiel wurde den Kindern verächtlich gemacht, es schämte sich schließlich dieses Tuns und vergaß es. Hierin ist der Grund zu suchen, daß Erwachsene nur selten Faltarbeiten herstellen können und, wenn es der Beruf erfordert, eigens dazu geschult werden müssen.“ Ich lese tatsächlich gerade die Einführung zum ersten Mal, während ich den Beitrag schreibe und bin angetan, wie viele wichtige und interessante Gedanken darin enthalten sind. Unter anderem wird auf Friedrich Fröbel und seinen Bezug zu den Faltarbeiten verwiesen, außerdem: „In Krankenhäusern und Kliniken werden Kinder, wenn es der Krankheitszustand erlaubt, mit Faltarbeiten nach Fröbel beschäftigt und aufgeheitert.“ Der Lehrer bedauert, dass später nicht auf diese Erfahrungen angeknüpft wird und die Kinder damit auch Geschicklichkeit verlieren. Im Folgenden wird erklärt, welches Material sich am besten eignet, wie Lehrer:innen das Falten am besten einführen und was in dem Film gezeigt wird.
Begleitheft 2
Das Begleitheft des zweiten Teils enthält neben den dazu passenden Anleitungen nicht etwa dieselbe Einführung wie Heft 1, sondern verweist auf die Möglichkeit, mithilfe der gefalteten Elemente ein Gemeinschaftswerk zu schaffen – das fand ich deshalb auffällig, weil ich bei meinem Buch „Papier falten in der Kita“ genau das auch berücksichtigt habe und es mir sonst selten begegnet ist. Am Beginn des Heftes belegt ein Zitat über die Jugend in den Freiheitskriegen Anfang des 19. Jahrhundert, dass zu jener Zeit bereits Modelle aus Papier gefaltet wurden. „Das Genußreichste, was Senff uns lehrte, war die Kunst, gewisse kleine trianguläre Gestalten, sonst Krähen genannt, aus Papier zu falten“, die später dann als Soldaten verwendet, mit denen die Schlachten nachgespielt wurden. Die Hinweise zu Werkstoff, Technik und Didaktik entsprechen denen des ersten Heftes, danach folgt ebenfalls eine Information zu Aufbau und Inhalt des Filmes.
Fazit
Auch wenn es um zwei Filme und Begleitheft aus der NS-Zeit handelt, lässt sich davon wenig spüren, allenfalls in Film 2 der Kampf mit Pferd und Reiter, der allerdings im Film eher an den Kampf von Cowboy und Indianer im „Wilden Westen“ erinnert. Ich würde mir wünschen, dass es solche Filme auch heute wieder gibt, denn an dem, was Papierfalten bedeutet, hat sich auch in unserer digitalen Welt nichts geändert – es regt die Fantasie an, fördert die Abstraktionsfähigkeit und Geschicklichkeit und vermittelt eine basale Kulturtechnik, die vielleicht nicht mehr in allen Berufen, aber doch im Alltag hilfreich ist. Ich danke der FWU Institut für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht dafür, dass sie mir ermöglicht hat, die beiden Unterrichtsfilme anzusehen. Die Bildauszüge habe ich vom PC abfotografiert, um die Inhalte des Filmes zu dokumentieren. © April 2024 Dr. Birgit Ebbert www.PapierZen.de
Ilse Jung
Hallo Frau Ebbert,
das war ein überaus interessanter Artikel!
LG Ilse
BEbbert
Herzlichen Dank, ich fand die Filme auch wirklich interessant. Liebe Grüße Birgit Ebbert