Ich war schon damals überrascht, als ich erfuhr, dass es in meinem Heimatkreis ein Scherenschnittmuseum gibt, aber das war nichts gegen die Überraschung, die mich am Sonntag in Vreden erwartet hat. Das Scherenschnittmuseum ist zwar nicht riesig, aber es sind dort rund 200 Scherenschnitte aus fast vierhundert Jahren und aus aller Welt zu sehen. Das älteste Exponat stammt von 1640 und die neuesten stammen von einer zeitgenössischen niederländischen Künstlerin. Mein Fazit vorab: Da fahre ich noch einmal hin – mit mehr Zeit zum Gucken und zum Kuchen essen 😊
Über das Scherenschnittmuseum in Vreden
Ja, zum Kuchen essen, denn das Scherenschnittmuseum befindet sich in den hinteren Räumen des alten historischen Rathauses am Marktplatz in Vreden. Im vorderen Teil ist ein Café und die Torten sahen sehr verlockend aus, aber ich wurde in Borken erwartet und hatte nicht damit gerechnet, dass es in dem Museum so viel zu sehen war. Hier muss ich einschieben, wie ich überhaupt von der Existenz des Museums erfahren habe. Eine Freundin erzählte vor zwei oder drei Jahren, dass ihr Kollege einmal in einem Café gewesen sei und auf dem Weg zur Toilette entdeckt hätte, dass im hinteren Teil Scherenschnitte hingen. Jetzt mal ehrlich, das klingt doch eher nach einer Gaststube mit ein paar Scherenschnitten.
Das habe ich also erwartet und gedacht, da gucke ich einmal rein und dann trinke ich gemütlich einen Kaffee. Daraus wurde nichts, denn in den vier Räumen plus Flur gab es so viel zu sehen, dass ich auf Kaffee und Kuchen verzichten musste. Ich erwähne es nur, damit ihr beim Ausflug mehr Zeit einplant. Aber zurück zum Museum. Es ist vermutlich die größte Sammlung von Scherenschnitten in Europa und geht auf die private Sammlung des Vredeners Hermann Gebing zurück, der 1971 in Paris erstmals mit Scherenschnitten in Kontakt kam. Ein Straßenkünstler hat ein Scherenschnitt-Porträt von ihm erstellt, das auch in der Ausstellung hängt. Eher widerwillig hat er sich beschwatzen lassen, das Porträt zu kaufen, aber dann doch Feuer gefangen. Danach hat er Scherenschnitte gekauft und auch geschenkt bekommen und die Sammlung wurde immer größer. 2006 hat er sie in die Bürgerstiftung Vreden eingebracht, die mit dem Museum dafür sorgt, dass die Werke langfristig erhalten und ausgestellt werden. Was zunächst wohl tatsächlich in einem Hinterzimmer erfolgte, 2015 wurde die Sammlung aber neu präsentiert. In der neuen Präsentation ist viel zu sehen, aber abwechslungsreich aufbereitet. Eine Besucherin meinte, ihr seien die Werke nicht strukturiert genug, aber so entdeckt man immer etwas Neues und geht auch mal zwischen den Räumen hin und her, um etwas abzugleichen.
Die Kunstwerke im Scherenschnittmuseum
Doch nun zu den Kunstwerken im Museum – da die Hängung tatsächlich keiner Struktur folgt, fasse ich zusammen, was ich gesehen habe. Wie geschrieben, es finden sich Werke aus dem 17. Jahrhundert bis heute, wobei man den Scherenschnitten nicht immer ansieht, wann sie entstanden sind. Manche alte Bilder wirken so, als wären sie vor wenigen Jahren entstanden, manche neue Bilder greifen alte Motive auf und schwarz auf weiß könnten sie auch als alte Scherenschnitte durchgehen. Leider sind nur einige der Scherenschnitte mit Namen versehen, da sie nicht signiert waren, auffällig fand ich, dass sich Künstler und Künstlerinnen etwa die Waage hielten. Ich fand das deshalb auffällig, weil ich – fragt nicht warum – Scherenschnitt eher als Handarbeit von Frauen eingeordnet hätte. Was unsinnig ist, ich kenne ja sogar einen männlichen Scherenschnittkünstler, Martin Völlmecke aus dem Kunst- und Atelierhaus Hagen schneidet ganze Texte in Papierbögen! Aber ich habe in Gotha eben auch eine weibliche Künstlerin kennengelernt, Erika Schirmer, durch deren Bilder ich überhaupt wieder dazu gekommen bin, mich auch mit geschnittener Papierkunst zu beschäftigen.
Die Motive sind so vielfältig wie Motive in der Kunst eben sind, da finden sich Alltagsszenen neben abstrakten Schnitten, die fast ein wenig ans Bauhaus erinnern. Erstaunt hat mich ich einen Scherenschnitt von Ren Rong, einem chinesischen Künstler, dessen Werke aus Stahl ich vor einigen Jahren im Hagener Osthausmuseum gesehen habe. Sein Motiv „Baummenschen“ bzw. „Pflanzenmenschen“, das seine Kunst durchzieht, ist hier als von ihm angefertigter Scherenschnitt zu sehen. Erstaunt hat mich doch, welche Details in einem Scherenschnitt deutlich werden können, vor allem an einem der ersten Bilder aus zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, auf dem erkennbar ist, mit welchem Spielzeug sich Kinder damals beschäftigt haben. Es fällt mir wirklich schwer, einzelne Werke herauszupicken, weil jedes für sich so anders und interessant war. Neben den Scherenschnitten aus dem üblichen Schwarzpapier hängen in der Sammlung auch Weißschnitte, Schnitte aus farbigem Papier und ein Scherenschnitt aus Zuckerrohr (Südafrika), aus Reisstroh (China), Leder (Thailand) und traditionelle Katagami, Schablonen für den Seidendruck aus Japan.
Die Scherenschnitte stammen aus der ganzen Welt, sie kommen zum Beispiel aus der Schweiz und den Niederlanden, Dänemark und Italien. Teils handelt es sich um Volkskunst, teils um Scherenschnitte mit persönlichem oder historischem Bezug, zu einem Priesterjubiläum oder über die Wiedertäufer in Münster, ein Scherenschnitt aus dem Jahr 1817 stammt übrigens von Jenny Droste-Hülshoff. Ich kann nicht sagen, welches mein Favorit ist, eben weil die Kunstwerke so unterschiedlich sind. Oder doch die Scherenschnitte der niederländischen Künstlerin Joke Kooi-Varkevisser, sie hat ihren Schnitten durch Wölben eine faszinierende Dreidimensionalität verschafft.
Ausstellung „Wenn der Frühling kommt“
Die 200 Exponate im Scherenschnittmuseum waren nicht alles, was ich am Sonntag gesehen habe. Bis zum 28. Mai sind im kult Westmünsterland noch niederländische Scherenschnitte rund um das Thema Frühling zu sehen. Mit einer außergewöhnlichen Arbeit von Joke Kooi-Varkevisser und vielen klassischen und modernen geschnittenen Bildern von Tulpen und anderen Blumen in Holland. Durch diese Sonderausstellung habe ich auch erfahren, dass es die „Nederlandse Verenigung voor Papierknipkunst“ gibt, das deutsche Pendant hat sich leider vor einigen Jahren aufgelöst. Aber Scherenschnitte brauchen keine Sprache, die kann man sich auch mal in den Niederlanden anschauen 😊 Ich jedenfalls habe durch beide Ausstellungen viele neue Einsichten und Ideen gewonnen, vielleicht greife ich doch auch mal wieder zur Schere – Scherenschnittpapier habe ich sogar noch aus dem Nachlass meiner Eltern, die vor Jahrzehnten beide Scherenschnitte angefertigt haben. Papier liegt bei uns doch irgendwie in der Familie 😊(© Mai 2023 Dr. Birgit Ebbert www.papierzen.de)
Weitere Informationen über das Scherenschnittmuseum: www.scherenschnittmuseum.de
Sogar an Schaufenstern in Vreden gab es einen Hauch von Scherenschnitt 🙂