Manche Bücher sucht man nicht, sie finden einen. So hat mich dieses Buch gefunden. Ich habe etwas völlig anderes gesucht, ich glaube, wieder einmal nach Friedrich Fröbel und seinen Papierfaltanregungen. Auf einmal landete ich auf einer Kleinanzeige bei ebay, in der das Buch „Creating with Paper“ von Pauline Johnson aus dem Jahr 1958 angeboten wurde. Von dem Buch hatte ich noch nie gehört, obwohl ich wirklich intensiv nach alten Papierfaltbüchern via Suchmaschine und Antiquariatsplattformen gesucht habe. Die Anzeige war aus dem letzten Jahr, aber das Buch noch zu haben und der Verkäufer hatte einige Seiten fotografiert, die mich neugierig gemacht hatten. Ich wusste also, dass ich nicht unbedingt viele neue Faltanregungen bekommen würde. Aber davon habe ich so viel, dass ich 100 werden muss, um die alle auszuprobieren. Mich interessiert vielmehr die Geschichte des kreativen Gestaltens mit Papier und des Papierfaltens. Auch vor dem Hintergrund, dass ich in den fünf Jahren, in denen ich mich mit Papier beschäftige, mehrmals erlebt habe, dass Menschen eine Technik zu ihrer Erfindung erklärt haben. Der Höhepunkt dessen war ein Workshop, der sich im Nachhinein als Akquise-Workshop entpuppte und bei dem uns angeboten wurde, eine Lizenz zu kaufen oder sogar zu vertreiben – für eine Technik, die ich inzwischen in Büchern aus dem vorletzten Jahrhundert entdeckt habe.
Creating with Paper – das Buch
Und das Buch hat mich geflasht – so viele Bilder von verschiedenen Techniken und Variationen, ich kann es nicht am Stück lesen und durchsehen, weil mich das überfordern würde. Deshalb findet ihr hier keine Rezension, sondern eher meine Eindrücke beim Lesen des Buches, das ursprünglich für Studierende konzipiert wurde und 1958 in der University of Washington Press erschienen ist. Von der Urfassung gab es mindestens elf Auflagen bis 1967, mein Buch ist die zweite Auflage einer öffentlichen Ausgabe, die 1966 erschien, meine Ausgabe ist von 1967. Mein antiquarisches Exemplar stand auf jeden Fall im November 1972 in der US Army Library Larsons Barracks und es trägt außerdem einen Stempel der Special Services Library Harvey Barracks Kitzingen, was erklärt, wie das Buch seinen Weg nach Deutschland gefunden hat.
Ein faszinierendes Vorwort
Das Vorwort stammt von Trevor Thomas, einem britischen Kunsterzieher, der von 1946 bis 1954 bei der UNESCO in Paris zuständig gewesen war für spezielle Programme für „Education trough the Arts and Crafts“ (vorher hat er u. a. 1944 in den England Künstler wie Nolde, Marc, Kandinsky, Feininger and Heckel ausgestellt, die in Deutschland als entartet galten!). Neben der Kunsterziehung beschäftige Trevor Thomas sich mit der traditionellen Kunst verschiedener Länder, ein Schwerpunkt war Afrika, aber bei seiner Forschung über Mexiko und Japan stieß er auch auf das Thema Papierkunst, worauf er in dem Vorwort verweist. Mich hat besonders fasziniert – weil ich immer nach Parallelen in Kulturen suche – seine Erinnerung an den Lebensmittelhändler, der aus Papier fix eine Tüte herstellte. Sein Fazit über das Buch, es hat zwei Dinge bei ihm bewegt: „It set me thinking of experiences I hat thought long forgotten, and it made me seek out a pair of scissors and a rule so theat I might at once try out some of the things she discribes.“ (S. V) Das hat mich auf eine Idee gebracht, an der ich gerade herumdenken muss, ehe ich weiterlese und blättere. 🙂
Thomas beschreibt eine polnische Volkskunst, die er im zweiten Weltkrieg in dem Museum ausgestellt hat, für das er arbeitete. Aber da hat mein Englisch anscheinend Grenzen, vielleicht ist aber auch Pappmaché gemeint oder werden mehrere Papierbögen verleimt und dann geschnitten und geschliffen? „all solidly represented as if carves in white plaster. In fact they were intricately constructed oft paper, and for me there was special interest in comparing the technique of building up numerous small items to a monumental whole with the one I hat evolved, independently oft e direkt folk tradition, of folding or creasing into large areas of paper the modeling required to meet theatrical conditions.“ (S. VI)
Er erinnert in dem Vorwort auch an die Kleinkünstler, die auf der Bühne mit Papier gezaubert haben – da fällt mir ein, dass ich immer noch die Palme aus Zeitungspapier ausprobieren wollte, die mein Vater gezaubert hat 🙂 Trevor Thomas erwähnt die Jacob’s ladder, die man wohl auch aus Zeitungspapier falten kann, ich habe sie mal kniffelig aus Pappe und Papierstreifen gebastelt.
Faszinierend finde ich, dass sich zu jener Zeit die UNESCO mit Kunst und Handwerk beschäftigt hat, da werde ich gelegentlich schauen, ob es ein vergleichbares Programm heute noch gibt. Sprich: Schon das Vorwort hat so viele Punkte auf meine Todo-Liste gebracht, dass ich eigentlich keine Zeit habe, weiterzulesen 🙂
Alte Papier-Bekannte
Parallelen zwischen verschiedenen Zeiten faszinieren mich seit meiner Kindheit. Ich habe schon immer gerne zugehört, wenn meine Eltern oder Verwandte Geschichten aus ihrer Kindheit erzählten. So bin ich vor Jahren dazu gekommen, Erinnerungsgeschichten für die Arbeit mit Senioren zu schreiben und das ist auch die Motivation, alte Bastelbücher zu sammeln. Ich finde auch die Erfindungen toll, die uns heute das Leben erleichtern, aber besonders schön finde ich, wenn es ein Band durch die Zeit gibt. Dieses Buch ist so ein Band – die Autorin hat 1958 Techniken des kreativen Umgangs mit Papier beschrieben, die ich zum Teil aus meiner Kindheit kenne, die ich in der Zeitschrift aus der Nachkriegszeit, über die ich promoviert habe, fand und die ich vor zwei Jahren in meiner Stadtschreiberinwohnung in Gotha ausprobiert habe. Vielleicht findet ihr euch in meinen Beispielen wieder – das Buch enthält noch viele weitere Techniken und spezielle Kombinationen für besondere Anlässe. Was ich auch dort fand, war der Engel, den wir zwei Jahren in das Kinder-Weihnachts-Bastelbuch aufgenommen haben – und einen Stern, den ich mir für ein Sterne-Bastelbuch ausgedacht habe, da musste ich wirklich lachen – ich war so stolz auf meine Idee und da wurde sie schon fotografiert, bevor ich geboren bin. Verrückt, oder?
Natürlich kommt die Schneeflocke vor, die wir sicher alle in der Kindheit geschnipselt haben – am 27. Dezember gibt es in den USA sogar extra einen „Make Cut-out Snowflakes Day“ 🙂
Auf dieses Faltschnittmodell bzw. diese Technik war ich auch stolz, weil ich sie so – aus einem rechteckigen Papier – vorher noch nicht gesehen hatte. Also habe ich aus Altpapier diverse Modelle gefaltet und zu Tischsets verarbeitet. Ich wollte schon immer darüber bloggen, aber jetzt weiß ich ja, dass auch diese Idee schon Jahrzehnte bekannt ist. Wahnsinn!
Na gut, das hat wohl jeder mal gebastelt – aus Tonpapier eine Laterne oder auch nur einen Stern oder eine Szene geschnitten. Eigentlich ist irgendwo sogar noch eine Weihnachtskarte, die ich vor Jahren gebastelt habe. Diese Laterne stammt nicht aus meiner Bastelhand, aber sie passte gerade so gut, als ich die Fotos gemacht habe 🙂
Diese Falttechnik habe ich vor drei oder vier Jahren in einem Workshop bei Eric Gjerde in der Bauhaus-Bundesschule Bernau gelernt. Ich habe gedacht, er hätte sie erfunden und habe sie danach schon auf einem Foto vom Bauhaus in den 1920er Jahren gesehen und nun in diesem Buch. In Gotha habe ich zig dieser Muster gefaltet, da warte ich noch auf eine Wand, an der ich sie anbringen kann. 🙂 Auf jeden Fall war sie auch Inhalt meines Faltworkshops nach Bauhaus.
Dann habe ich eine Modifikation der Technik in dem Buch gefunden, die ich außerdem schon in einem Artikel über einen Zauberer entdeckt hatte, der auch mit Papierkunststücken aufgetreten ist. Ich habe in Gotha experimentiert und hüte die Ergebnisse in einer Kiste, weil ich keinen Platz dafür habe – in meiner Stadtschreiberinwohnung waren sie eine tolle Deko 🙂
Natürlich kommen auch Girlandenmännchen vor, wenn auch immerhin kein Fördergerüst, das ich zum letzten Tag des Steinkohleabbaus im Ruhrgebiet gefaltet hatte.
Und die Aufstelltiere, die mir in einem Wochenendseminar ein Referent als seine urheberrechtlich geschützte Idee verkaufen wollte und die ich dann in einer Zeitschrift aus dem Jahr 1947 und in noch älteren Büchern als „Creative with Paper“ sah.
Natürlich kommen auch Origami-Tauben und -Kraniche, Hexentreppen und viele andere Techniken vor, die ich schon kannte. Aber es sind das Alter des Buches und auch wie oben beschrieben die Gedanken vor 63 Jahren zum Thema Kreatives Gestalten mit Papier in einem anderen Land, die mich faszinieren und vielleicht auch euch. © 2021 Dr. Birgit Ebbert www.PapierZen.de
Xenia von Poser
Liebe Frau Ebbert,
es ist spannend, was Sie berichten!
Kurze Information zur Unesco: es gibt ja zum Thema arts & crafts das Verzeichnis des immateriellen Weltkulturerbes.
Die Chinesen haben dort ihre Papierkunst (Scherenschnitte) eingereicht. Das gesamte Verzeichnis kann man online einsehen. Viele Grüße, Xenia von Poser
BEbbert
Oh, herzlichen Dank, liebe Frau von Poster, da werde ich gelegentlich in der Liste stöbern. Viele Grüße Birgit Ebbert